Es war einmal ein kleiner Mensch, der fragte sich: Was brauche ich? Und er dachte: Ein Dach über dem Kopf, eine Scheibe Brot, Wasser zum Trinken und um mich zu waschen, Gesellschaft und Liebe. Ein Feuer, um mich zu wärmen, eine Decke, damit ich auch nachts nicht friere. Ausserdem Schuhe und ein paar Kleider. Sonst zeigen die Leute mit dem Finger auf mich und sagen: Schau dort, der nackte Tölpel.
Als der kleine Mensch grösser wurde, fand er, eine Scheibe Brot reiche nicht aus. Man will doch darauf ein Stück Käse und darunter Butter haben. So schmeckt es besser. Aber eine ausgewogene Ernährung ist das noch nicht. Gemüse braucht man, Früchte, Avocados, Chia-Samen, ab und zu ein Pouletgeschnetzeltes, ein Kotelett, ein Lachsfilet, ein Entrecôte, ein Lamm-Gigot, ein vergoldetes Angus-Kalbssteak, dazu gestopfte Gänseleber mit Kaviar-Trüffel-Mousse.
Als er aber anfing, die Leckereien zügellos in sich hineinzustopfen, merkte der Mensch eines Tages, dass er nicht mehr in den schnittigen Anzug passte. Er wusste aber, dass Gesellschaft und Liebe Wert legen auf Waschbrettbauch und wohlgeformte sekundäre Geschlechtsmerkmale.
Also brauchte er Wanderschuhe, hochgeschnitten für die Bergwanderung, tiefgeschnitten für Trekkingausflüge in den Voralpen. Er brauchte Jogging- und Tennisschuhe, Inline- Skates, Schneeschuhe, Skischuhe, Langlaufschuhe. Er brauchte ein Rennrad, ein Mountainbike und ein E-Bike, um zur Arbeit zu fahren. Einen Neoprenanzug auch, falls er doch mal im Frühling oder Herbst schwimmen wollte, ausserdem ein Wakeboard und dazu ein hübsches Motorboot.
Bald merkte er, dass er gar nicht so schlank sein musste, wenn er ein Motorboot hatte, eine Rolex am Handgelenk, eine Omega, Breitling, Hublot in der Schublade und ein grosses Auto, zum Beispiel einen Audi Q8 oder einen Porsche Cayenne oder am besten einen Mercedes G 500 4×4. Das ist auch sicherer, fand er, so ein grosses Auto, weil ja die anderen auch so grosse Autos fahren. Und wenn’s kracht, ist man im schwereren von zwei Fahrzeugen besser aufgehoben.
Um sich das alles leisten zu können, brauchte er einen Posten mit gutem Gehalt. Am besten einen, der eine gewisse Sichtbarkeit und ein gewisses Ansehen garantierte. Warum nicht auch eine gewisse Macht? Auch dieser Mensch war in der Schule gehänselt worden, weil er zu dünn oder dick oder klein oder gross oder dunkel oder hell oder laut oder leise oder hübsch oder hässlich gewesen war. Er hatte ein dünnes Fell, und es tat gut, wenn die Leute den Kopf drehten und sagten: Schau dort, der erfolgreiche Mensch. Als er all diese Sachen hatte, was brauchte er da noch? Ein Haus natürlich, worin das Zeugs und auch ein Kombi-Steamer, zwei Eames-Sessel und USM-Sideboards Platz fanden. Schon der G 500 4×4 brauchte eine geräumige Garage. Und das wäre ja noch, wenn das Auto grosszügiger wohnt als ich, dachte der Mensch.
Also: Gross sollte es sein, schön sollte es sein und repräsentativ. Eine Villa am See zum Beispiel oder gleich ein paar Häuser samt unterirdischer Tennisanlage.
Aber wenn ich mich richtig abheben will vom Pöbel, dachte der Mensch, wenn ich zeigen will, dass ich obenaus schwinge, dass ich der Primus inter Pares bin, dann gibt es nur ein Haus, das für mich infrage kommt. Von weither sichtbar erhebt es sich auf einem Hügel. Drei Türme hat es, verbunden mit Wehrgängen. Dort muss ich wohnen, damit die Leute stehenbleiben und sagen: Schau dort, der tollste Hecht am Zürichsee.
Also wollte der Mensch das Schloss auf dem Schlosshügel kaufen, aber es hiess, das Schloss sei nicht verkäuflich, und mieten könne er es auch nicht. Und als der Mensch das hörte, dass er das Schloss nicht haben konnte, dass das prächtigste aller Häuser der Allgemeinheit vorbehalten war, da wäre ihm um ein Haar klar geworden, dass er von dem ganzen angehäuften Gerümpel auch recht viel nicht brauchte.